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17.04.2025 – Hepatotoxizität ist eine häufige Nebenwirkung von Immuntherapeutika bei MS und schwere Leberfunktionsstörungen stellen in der Regel eine Kontraindikation dar. Selbst wenn eine solche nicht vorliegt, bleibt die Beurteilung von Leberfunktionsstörungen bei der Indikationsstellung und auch bei Laborkontrollen unter Therapie durchaus eine Herausforderung mit „knowledge gaps“. Vor diesem Hintergrund möchte die Task Force Versorgungsstrukturen und Therapeutika des KKNMS e.V. zur geänderte Dosierungsempfehlung von Ozanimod für Patienten mit leichter oder mittelschwerer chronischer Leberfunktionseinschränkung (Child-Pugh-Klasse A oder B) Stellung nehmen.

Die angepasste Dosierungsempfehlung für Ozanimod (Zeposia®) sieht vor, dass „Patienten mit leichter oder mittelschwerer chronischer Leberfunktionseinschränkung (Child-Pugh-Klasse A oder B) nur eine Tablette (0,92 mg) einmal jeden zweiten Tag einnehmen“, was einer Halbierung der Dosis entspricht. Diese Empfehlung basiert auf einer pharmakokinetischen Phase-I-Studie an nicht an MS erkrankten Probanden mit Leberfunktionsstörungen im Child-Pugh-Stadium A oder B, bei denen sich im Vergleich zu lebergesunden Probanden eine etwa 2-fach erhöhte Exposition mit den wirksamen Hauptmetaboliten des Medikaments gezeigt hatte (https://clinicaltrials.gov/study/NCT04639115 und Rote-Hand-Brief vom 18.08.2023).

Aus Sicht der Task Force ist die Umsetzung dieser Empfehlung in der Praxis aus den folgenden Gründen problematisch:

1. Der Child-Pugh-Index ist nicht diagnostisch. Er bewertet das Serum-Bilirubin, das Serum-Albumin, den INR-Wert, den Nachweis von Aszites im Ultraschall und das Vorhandensein einer hepatischen Enzephalopathie mit Punkten (jeweils von 1 bis 3), um die Prognose (1-Jahres/bzw. 2-Jahres-Überlebensrate) bei Patienten und Patientinnen mit bereits gesicherter Leberzirrhose abzuschätzen, ist aber nicht geeignet, eine relevante Lebererkrankung überhaupt erst festzustellen: Auch ein lebergesunder Mensch erreicht im Child-Pugh-Index mindestens 5 Punkte, was einem Stadium A entspricht. 

2. Eine Leberfunktionsstörung muss also bereits bekannt sein, bevor eine Dosisanpassung über den Child-Pugh-Index erfolgen kann. Aus Sicht der Task Force kann dies im Umkehrschluss aber nicht bedeuten, dass sich jeder Patient bzw. jede Patientin vor Beginn der Behandlung mit Ozanimod einer hepatologischen Ausschlussdiagnostik unterziehen muss. Der pharmazeutische Unternehmer möchte hierzu jedoch keine verbindliche Aussage treffen. 

3. Mutmaßlich weitaus häufiger als unerkannte Lebererkrankungen sind Menschen mit MS, die unter Ozanimod einen Anstieg der Transaminasen entwickeln. Hier ist ein Algorithmus vorgegeben: Sind die Leberenzyme auch nach einer wiederholten Kontrolle über das 5-fache der oberen Normwertgrenze angestiegen, muss die Behandlung unterbrochen werden und kann erst nach Normalisierung der Werte wieder aufgenommen werden – in der vollen Dosis. Kann eine solche Transaminasenerhöhung aber nicht auch als Leberfunktionsstörung gewertet werden, für die die Dosisreduktion gelten würde? Zwar sind die Transaminasen im Child-Pugh-Index nicht abgebildet, ein Stadium A erreicht aber, siehe oben, jeder. Was also unter einer „leichten oder mittelschweren chronischen Leberfunktionseinschränkung“ zu verstehen ist, bedarf einer (klinisch operationalisierten) Definition, um die Dosisreduktionsregel eindeutig umsetzen zu können. Diese Definition bleibt der pharmazeutische Unternehmer schuldig. 

4. Ob die reduzierte (=halbierte) Dosis von Ozanimod bei der MS überhaupt wirksam ist, ist nicht bekannt – bei Lebergesunden war sie es in den Phase-III-Studien SUNBEAM und RADIANCE nicht.

Die Dosishalbierung von Ozanimod scheint daher bei Leberfunktionsstörungen ein eher problematisches Konzept zu sein.

  • [1] https://clinicaltrials.gov/study/NCT04639115
  • [2] https://www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Pharmakovigilanz/DE/RHB/2023/info-zeposia.html
  • [3] Comi, Giancarlo et al. Safety and efficacy of ozanimod versus interferon beta-1a in relapsing multiple sclerosis (SUNBEAM): a multicentre, randomised, minimum 12-month, phase 3 trial. The Lancet Neurology, Volume 18, Issue 11, 1009 – 1020
  • [4] Cohen, Jeffrey A et al. Safety and efficacy of ozanimod versus interferon beta-1a in relapsing multiple sclerosis (RADIANCE): a multicentre, randomised, 24-month, phase 3 trial. The Lancet Neurology, Volume 18, Issue 11, 1021 – 10333

Das Krankheitsbezogene Kompetenznetz Multiple Sklerose (KKNMS) ist eines von bundesweit 21 Kompetenznetzen in der Medizin, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung initiiert wurden. Sie alle verfolgen das Ziel, Forscher zu spezifischen Krankheitsbildern bundesweit und interdisziplinär zu vernetzen, um einen schnellen Transfer von Forschungsergebnissen in die Praxis zu ermöglichen. Der Fokus der aktuellen KKNMS-Projekte liegt auf der langfristigen Verbesserung der MS-Diagnose, -Therapie und -Versorgung. Die Geschäftsstelle ist am Universitätsklinikum Münster angesiedelt.

Krankheitsbezogenes Kompetenznetz Multiple Sklerose
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