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22.02.2022 – Für eine bestmögliche Behandlung der Multiplen Sklerose (MS) ist es von Bedeutung, früh eine Aussage über den weiteren Krankheitsverlauf treffen zu können. Ein gewünschtes Hilfsmittel dabei sind Biomarker, die man idealerweise aus dem peripheren Blut bestimmen kann. Serum Neurofilament Light Chain (sNfL) ist ein Marker für neuronalen Schaden und korreliert in einer großen multinationalen Studie, die unter Beteiligung von Mitgliedern des KKNMS und des DMSG-Bundesverbandes durchgeführt wurde, mit der prognostischen Krankheitsaktivität. 

Serum Neurofilament Light Chain (sNfL) ist ein Biomarker für Schäden an Nervenzellen, der zunächst in den Liquor und dann ins Blut abgegeben wird. Er kann zur Überwachung der Krankheitsaktivität und des Ansprechens auf Medikamente sowie zur Prognose des Krankheitsverlaufs in Gruppenanalysen von PatientInnen mit Multipler Sklerose behilflich sein. 

Die Analyse auf Gruppenebene bedeutet, dass z.B. in klinischen Studien, in denen zwei Medikamente zur Behandlung der MS verglichen werden, der sNfL-Spiegel sich zwischen den zwei Gruppen unterscheidet, sofern die verglichenen Medikamente eine unterschiedliche Wirksamkeit haben. 

Für eine Prädiktion auf individueller Ebene von PatientInnen müssen allerdings weitere physiologische Faktoren berücksichtigt werden, die den sNfL beeinflussen, wie Alter, Body Mass Index (BMI) und eventuelle Begleiterkrankungen. 

In einer in The Lancet Neurology veröffentlichten Studie [1], haben Benkert und Kollegen Analysen in mehreren großen Kohorten gesunder und an MS erkrankter Personen durchgeführt, um eine Methode für die Anwendbarkeit von sNfL als individuellen Biomarker zur Identifizierung von Personen mit einem Risiko für zukünftige Krankheitsaktivität zu entwickeln. Mit Hilfe einer großen Referenzdatenbank gesunder Personen (normative Datenbasis) wurden dabei sNfL Referenzwerte abgeleitet und für physiologische Faktoren korrigiert. 

Ein Ziel der Studie war es, statistische Kenngrößen (Perzentile und Z-Scores) für sNfL aus dieser Referenzdatenbank abzuleiten, welche den Grad des sNfL-Anstiegs bei Nicht-MS-Erkrankten alters- und BMI-korrigiert angibt. Ein wesentlicher Teil dieser Referenzkohorte war die an der Medizinischen Fakultät der Universität Münster durchgeführte BiDirect-Studie. 

In zwei unabhängigen Kohorten von Personen mit Multipler Sklerose wurde getestet, ob diese angepassten sNfL-Referenzwerte das Risiko für eine künftige Krankheitsaktivität vorhersagen, sowohl auf Gruppenebene als auch auf Ebene von Einzelpersonen. Ebenfalls untersuchten die AutorInnen, ob die Kenngrößen für sNfL zur Quantifizierung und zum Vergleich der langfristigen Wirksamkeit krankheitsmodifizierender Therapien verwendet werden können.

Die Studie konnte zeigen, dass die Bestimmung des „normierten“ sNFL die Identifizierung einzelner Personen mit Multipler Sklerose, bei denen ein Risiko für weitere Krankheitsaktivität besteht, ermöglichen kann. Insbesondere die longitudinale sNfL-Bestimmung unter Therapie kann auch als ein Baustein zur Evaluation des Therapieansprechens genutzt werden. Darüber hinaus könnte sNfL in Zukunft auch als Studien-Endpunkt für den Vergleich der Wirksamkeit verschiedener Arzneimittelklassen verwendet werden.

Die Studie erweitert damit die weltweiten Aktivitäten zur Etablierung von „Biomarkern“ für die prognostische Nutzung und therapeutische Entscheidungsfindung im individuellen Management der Behandlung von MS-Erkrankten. „Vor der Anwendung solcher Marker bei PatientInnen in der klinischen Routine ist die hier erfolgte Untersuchung an gesunden Personen und großen Patientengruppen essentiell, um in der Zukunft einen solchen Biomarker gezielt anwenden zu können“, sagt PD Dr. Anke Salmen vom Universitätsspital Bern, Mitautorin der Studie und Mitglied des KKNMS.

Das KKNMS ist hierzu bereits mit einer Analyse aus der NationMS1 Kohorte aktiv [2]. „Patientendaten zum sNfL erhöhen die diagnostische Genauigkeit, zeigen einen Zusammenhang mit der Prognose des Krankheitsverlaufs und können, bei Datenerfassung über einen längeren Zeitraum, therapeutische Entscheidungen erleichtern“, erläutert Prof. Dr. med. Frauke Zipp, Stellvertretender Vorstand des KKNMS und Vorstandsmitglied im Ärztlichen Beirat des DMSG-Bundesverbandes.

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Der Abdruck ist frei.

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  • [1] Benkert P, Meier S, Schaedelin S, et al. Serum neurofilament light chain for individual prognostication of disease activity in people with multiple sclerosis: a retrospective modelling and validation study. The Lancet Neurology 2022, Volume 21, Issue 3:246-257. https://doi.org/10.1016/S1474-4422(22)00009-6.
  • [2] Bittner S, Steffen F, Uphaus T, et al.; KKNMS consortium. Clinical implications of serum neurofilament in newly diagnosed MS patients: A longitudinal multicentre cohort study. EBioMedicine. 2020 Jun;56:102807. DOI: 10.1016/j.ebiom.2020.102807

Das Krankheitsbezogene Kompetenznetz Multiple Sklerose (KKNMS) ist eines von bundesweit 21 Kompetenznetzen in der Medizin, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung initiiert wurden. Sie alle verfolgen das Ziel, Forscher zu spezifischen Krankheitsbildern bundesweit und interdisziplinär zu vernetzen, um einen schnellen Transfer von Forschungsergebnissen in die Praxis zu ermöglichen. Der Fokus der aktuellen KKNMS-Projekte liegt auf der langfristigen Verbesserung der MS-Diagnose, -Therapie und -Versorgung. Die Geschäftsstelle ist am Universitätsklinikum Münster angesiedelt.

1952/1953 als Zusammenschluss medizinischer Fachleute gegründet, vertritt die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) die Belange Multiple Sklerose Erkrankter und organisiert deren sozialmedizinische Nachsorge. Die DMSG mit Bundesverband, 16 Landesverbänden und etwa 800 örtlichen Kontaktgruppen ist eine starke Gemeinschaft von MS-Erkrankten, ihren Angehörigen, fast 4.000 ehrenamtlichen Helfern und 276 hauptberuflichen Mitarbeitern. Insgesamt hat die DMSG fast 43.000 Mitglieder. Mit ihren umfangreichen Dienstleistungen und Angeboten ist sie heute Selbsthilfe- und Fachverband zugleich, aber auch die Interessenvertretung MS-Erkrankter in Deutschland. Schirmherr des DMSG-Bundesverbandes ist Christian Wulff, Bundespräsident a.D.

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch entzündliche Erkrankung des Zentralnervensystems (Gehirn und Rückenmark), die zu Störungen der Bewegungen, der Sinnesempfindungen und auch zur Beeinträchtigung von Sinnesorganen führt. In Deutschland leiden nach neuesten Zahlen des Bundesversicherungsamtes mehr als 250.000 Menschen an MS. Trotz intensiver Forschungen ist die Ursache der Krankheit nicht genau bekannt.

MS ist keine Erbkrankheit, allerdings spielt offenbar eine genetische Veranlagung eine Rolle. Zudem wird angenommen, dass Infekte in Kindheit und früher Jugend für die spätere Krankheitsentwicklung bedeutsam sind. Welche anderen Faktoren zum Auftreten der MS beitragen, ist ungewiss. Die Krankheit kann jedoch heute im Frühstadium günstig beeinflusst werden. Weltweit sind schätzungsweise 2,8 Millionen Menschen an MS erkrankt.