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30.05.2022 – Anlässlich des Welt MS Tages am 30. Mai 2022 veröffentlicht das KKNMS die fünf wichtigsten Neuigkeiten zur Multiplen Sklerose.

TOP 1 – MS und Epstein-Barr-Virus

Multiple Sklerose ist eine chronische demyelinisierende Erkrankung des zentralen Nervensystems bedingt durch eine Kombination von genetischen Prädispositionen und Umwelteinflüssen. Es wurde schon länger vermutet, dass eine symptomatische Primärinfektion mit dem Epstein-Barr-Virus (auch „Pfeiffersches Drüsenfieber“) ein möglicher Verursacher der Krankheit sowie auch anderer Autoimmunkrankheiten sein könnte. Eine Kausalität ist jedoch schwer nachzuweisen, denn die meisten Menschen, die mit diesem weitverbreiteten Virus infiziert wurden, entwickeln keine Multiple Sklerose. Nun konnten Bjornevik et al. (2022) anhand der Daten von Millionen von US-Militärrekruten, die über einen Zeitraum von 20 Jahren beobachtet wurden, feststellen, dass eine Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus das Risiko, später an Multipler Sklerose zu erkranken, stark erhöht und der Entwicklung der Krankheit vorausgeht, was seine mögliche Rolle in der Pathogenese der Multiplen Sklerose verstärkt. Das Epstein-Barr-Virus als Ziel für Vakzinierungsstrategien (v.a. mRNA Vakzine) oder als Therapieziel (z.B. mit EBV-spezifischen CAR-T Zellen) gewinnt somit an Bedeutung.

  • Bjornevik K, et al. Longitudinal analysis reveals high prevalence of Epstein-Barr virus associated with multiple sclerosis. Science. 13 Jan 2022. DOI: 10.1126/science.abj8222. https://www.science.org/doi/10.1126/science.abj8222
  • A Study of an Epstein-Barr Virus (EBV) Candidate Vaccine, mRNA-1189, in 18- to 30-Year-Old Healthy Adults. ClinicalTrials.gov Identifier: NCT05164094. https://clinicaltrials.gov/ct2/home
  • Pressemitteilung DGN: https://dgn.org/wp-content/uploads/2022/01/220117_PM_EBV_MS_HCD_PB_RG.pdf
  • Lanz TV, et al. Clonally expanded B cells in multiple sclerosis bind EBV EBNA1 and GlialCAM. Nature 603, 321–327 (2022). https://doi.org/10.1038/s41586-022-04432-7

TOP 2 – MS und COVID-19

Diverse Themen haben die internationale Multiple Sklerose Gemeinschaft in den zwei Jahren der COVID-19 Pandemie beschäftigt: Anfänglich konzentrierte sich die Forschung auf die Einschätzung des Risikos einer COVID-19 Infektion und die Wahrscheinlichkeit eines schweren Verlaufs für behandelte und unbehandelte Multiple Sklerose Patienten, wobei hier u.a. ein höherer Behinderungsgrad mit einem höheren Risiko für einen schweren Verlauf einherging. Nach Einführung der SARS-CoV-2 Impfstoffe rückte die immunologische Reaktion auf eine Infektion bzw. Impfung in den Fokus, insbesondere unter Einfluss von verlaufsmodifizierenden Behandlungen, die das Immunsystem unterdrücken. Insbesondere der Effekt von Anti-CD20 Therapien wurde betrachtet. Ein weiteres wichtiges Thema waren schließlich Fallberichte über demyelinisierende Ereignisse, die kurz nach der COVID-19 Impfung auftraten und die Fragestellung, ob diese eine Multiple Sklerose oder andere Autoimmunerkrankungen des zentralen Nervensystems auslösen oder intensivieren könnten.

Das KKNMS hat mehrere Stellungnahmen veröffentlicht, um diesen Themen auf den Grund zu gehen. Auch beschäftigt sich die nächste Ausgabe des Multiple Sclerosis Journal mit diesen Themen und präsentiert mehrere aktuelle Studien sowie ein Editorial mit Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse der letzten 2 Jahre.

  • Zabalza A, Thompson AJ, Montalban X. Two years of COVID-19 in the MS community: What have we learnt so far? Editorial, Multiple Sclerosis Journal. May, 2022; online first. DOI: https://doi.org/10.1177/13524585221099844
  • Pressemitteilung KKNMS: COVID-19 Impfstoffe und Auslösung von Krankheitsschüben 
  • Pressemitteilung KKNMS: Stellungnahme zur 3. Impfung gegen SARS-CoV2 
  • Pressemitteilung KKNMS: Stellungnahme zur Therapie der frühen SARS-CoV2 Infektion 

TOP 3 – Hämatopoetische Stammzelltransplantation (HSCT) in MS

Eine erfolgreiche Methode zur Behandlung der aggressiven bzw. höchstaktiven schubförmigen Multiplen Sklerose ist die hämatopoetische Stammzelltransplantation (HSCT). Hierbei wird zunächst das Immunsystem mit Hilfe einer Ablationsstrategie nahezu komplett eliminiert, anschließend mit Hilfe autologer Stammzellen reetabliert. Daten von Patienten in größeren Kohorten und Studien mit nunmehr ≥10 Jahren Beobachtungszeit mehren sich, die Therapieform ist allerdings immer noch weder zugelassen noch in Deutschland üblicherweise erstattungsfähig.

Die aktualisierten EBMT-Leitlinien geben einen Überblick über die klinische Evidenz und die Wirkmechanismen der HSCT bei Multipler Sklerose und enthalten Empfehlungen darüber, welche Patienten geeignet sind, sowie Informationen über Transplantationstechnik, die entsprechende Nachsorge und die zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten. Der Schwerpunkt liegt auf der autologen hämatopoetische Stammzelltransplantation (aHSCT), die seit mehr als zwei Jahrzehnten bei Multipler Sklerose eingesetzt wird. Es gibt immer mehr Belege für den erfolgreichen Einsatz bei der hochaktiven schubförmigen Multiplen Sklerose, falls diese auf andere verlaufsmodifizierende Therapien nicht anspricht. Auch könnte die aHSCT eine potenzielle Rolle bei der Behandlung der progressiven Multiplen Sklerose mit signifikanter Entzündungskomponente spielen. Die HSCT ist im Vergleich zu anderen immunmodulatorischen Behandlungen mit größeren kurzfristigen Risiken verbunden und erfordert eine enge fachübergreifende Zusammenarbeit zwischen Transplantationsmedizinern und Neurologen vor, während und nach der Behandlung.

  • Sharrack B, et al. Autologous haematopoietic stem cell transplantation and other cellular therapy in multiple sclerosis and immune-mediated neurological diseases: updated guidelines and recommendations from the EBMT Autoimmune Diseases Working Party (ADWP) and the Joint Accreditation Committee of EBMT and ISCT (JACIE). Bone Marrow Transplant. 2020 Feb;55(2):283-306. DOI: 10.1038/s41409-019-0684-0

TOP 4 – Biomarker in MS: sNFL

Um die Krankheitsaktivität und das Ansprechen auf Medikamente zu überwachen, sowie eine Prognose über den Krankheitsverlauf bei Menschen mit Multipler Sklerose zu ermöglichen, sind klinische Biomarker von großer Relevanz. Serum neurofilament light chain (sNfL) ist ein Biomarker für neuronale Schäden, der auf Gruppenebene verwendet wird, um prognostische Werte für Krankheitsaktivität und Behinderungsprogression zu ermitteln. Das Fehlen repräsentativer Referenzwerte zur Korrektur des physiologischen, altersabhängigen Anstiegs von sNfL hat den diagnostischen Nutzen dieses Biomarkers auf individueller Ebene eingeschränkt. In einer neuen Studie haben Benkert et al. (2022) eine Referenzdatenbank erstellt, um Referenzwerte abzuleiten, die für Alter und Body-Mass-Index (BMI) korrigiert wurden. Die Verwendung von sNfL-Perzentilen und Z-Scores ermöglicht demnach die Identifizierung einzelner Personen mit Multipler Sklerose, bei denen ein Risiko für einen nachteiligen Krankheitsverlauf und ein suboptimales Ansprechen auf die Therapie besteht, und zwar über klinische und MRT-Messungen hinaus.

Das KKNMS hat in einer Studie (Bittner et al. 2020) herausgestellt, dass die Bewertung von sNfL die diagnostische Genauigkeit erhöht und die Prognose des Krankheitsverlaufs über die nächsten vier Jahre ermöglicht. Insbesondere bei longitudinaler Messung spiegelt sNfL therapeutische Entscheidungen wider und könnte daher die frühe therapeutische Stratifizierung von Patienten erleichtern.

Ein neuer NfL Test aus dem peripheren Blut, eingesetzt als prognostisches Hilfsmittel zur Beurteilung des Risikos der Krankheitsaktivität bei Patienten mit schubförmig remittierender MS (RRMS), wurde nun von der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) in den Status „Breakthrough Device“ erhoben, welcher Produkten zuerkannt wird, die das Potenzial haben, eine effektivere Diagnose oder Behandlung lebensbedrohlicher Krankheiten zu ermöglichen, für die ein ungedeckter medizinischer Bedarf besteht. Das Programm soll beschleunigte Entwicklungs-, Bewertungs- und Prüfverfahren ermöglichen, garantiert jedoch nicht, dass ein Antrag genehmigt wird. Dies ist ein erster Schritt in Richtung eines potentiellen Biomarkers für die Multiple Sklerose, der auch Eingang in den praktischen Alltag finden könnte.

  • Benkert P, et al., Serum neurofilament light chain for individual prognostication of dis-ease activity in people with multiple sclerosis: a retrospective modelling and validation study. Lancet Neurol. 2022 Mar;21(3):246-257. DOI: 10.1016/S1474-4422(22)00009-6
  • Bittner, S., et al., Clinical implications of serum neurofilament in newly diagnosed MS patients: A longitudinal multicentre cohort study. EBioMedicine, 2020. 56: p. 102807. DOI: https://doi.org/10.1016/j.ebiom.2020.102807
  • Press release: NFL test for MS https://www.quanterix.com/press-releases/quanterix-granted-breakthrough-device-d…

TOP 5 – Neue Therapien für NMOSD; Generika in MS

Das Repertoire der Medikamente für Neuromyelitis Optica Spectrum Disorders (NMOSD) hat sich erweitert: in 2021 wurde Satralizumab zugelassen und erst kürzlich erfolgte die Zulassung für den monoklonalen Antikörper Inebilizumab. Hierdurch gewinnt die Therapie der NMOSD einen größeren Spielraum und Flexibilität in der Auswahl der Behandlungsoptionen.

  • Pressemitteilung KKNMS: Zulassung für Inebilizumab 
  • Pressemitteilung KKNMS: Satralizumab im Qualitätshandbuch 

Dieses Jahr kommen für die Behandlung der Multiplen Sklerose neue Generika auf den Markt. So liefen z.B. der Vermarktungs- bzw. Patentschutz für Fingolimod und Dimethylfumarat aus und es werden noch in diesem Jahr etliche Generika dieser Wirkstoffe erwartet. Der Fachausschuss Versorgungsstrukturen und Therapeutika des KKNMS wird diesbezüglich in Kürze eine Stellungnahme veröffentlichen, um die Vor- und Nachteile von Generika in MS weiter zu beleuchten.

Auf der KKNMS Website finden Sie wichtige Meldungen zur Multiplen Sklerose und ausführliches Informationsmaterial sowohl für behandelnde ÄrztInnen als auch für PatientInnen. Unser neues virtuelles Qualitätshandbuch (Progressive Web App, PWA) mit Hintergrunddetails zu allen Wirkstoffen wird stehts ergänzt und aktualisiert. Auch entwickeln wir zur Zeit ein neues Patientenhandbuch in ähnlichem Format.

  • KKNMS Website: https://www.kompetenznetz-multiplesklerose.de
  • KKNMS virtuelles Qualitätshandbuch: https://ms-qualitaetshandbuch.de

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Der Abdruck ist frei.

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Das Krankheitsbezogene Kompetenznetz Multiple Sklerose (KKNMS) ist eines von bundesweit 21 Kompetenznetzen in der Medizin, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung initiiert wurden. Sie alle verfolgen das Ziel, Forscher zu spezifischen Krankheitsbildern bundesweit und interdisziplinär zu vernetzen, um einen schnellen Transfer von Forschungsergebnissen in die Praxis zu ermöglichen. Der Fokus der aktuellen KKNMS-Projekte liegt auf der langfristigen Verbesserung der MS-Diagnose, -Therapie und -Versorgung. Die Geschäftsstelle ist am Universitätsklinikum Münster angesiedelt.